Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Daily Excelsior, Leh 07.08.2010

Am 05.08.2010 brach über dem Touristenort "Leh" eine Naturkatastrophe herein. Gewaltige Wassermassen fielen vom Himmel und haben riesige Schlammberge ins rutschen gebracht, die wiederum ganze Dörfer unter sich begruben. 120 Personen wurden dabei getötet, 425 schwer verletzt, 100 weitere werden noch vermisst. Ferner strandeten mehrere tausend Touristen in der Region Ladakh, da die einzigen beiden Zufahrtsstraßen nach Leh völlig zerstört wurden.


Das Touristen-Ehepaar Mrs Panic und Mr. No-Panic hat die Katastrophe erlebt.

Mrs. Panic , Leh 05.08.2010

Ich hatte es im Gespür, dass diese Nacht etwas schreckliches passieren wird. Um Mitternacht wurden wir aus dem Schlaf gerissen. Ein schreckliches Gewitter tobte über uns. Natürlich ging wie immer kein Licht in unserem Zimmer und ich suchte verzweifelt nach meiner Taschenlampe. Ich konnte es nicht glauben. Als ich meinen Fuß auf den dunklen Fußboden setzte, stand ich bis zum Knöchel im Wasser. Es hatte in Sturzbächen durch das Dach und die geschlossenen Fenster geregnet und alles was im Zimmer war, war komplett durchgetränkt. Mein Mann und ich haben beide versucht zu retten, was noch zu retten möglich war. Unseren Laptop konnten wir nur noch entsorgen.

Wir hatten den Rest der Nacht nicht mehr geschlafen und uns darüber geärgert, dass man noch nicht mal in einem teuren Hotel mit einem dichten Dach rechnen kann. Nach dieser schrecklichen Nacht hatten wir uns wirklich ein anständiges Frühstück verdient. Wir machten uns auf den Weg ins Dorf zu unserer „German Bakery“ mit dem Namen Pumpernickel. Panikartig liefen uns Leute entgegen. Teilweise schreiend und weinend. Es dauerte, bis wir begriffen, was geschehen war. Der untere Teil des Dorfes wurde in dieser Nacht von den Regenmassen einfach weggespült - der gesamte Busbahnhof inkl. der Wohnhäuser und des Krankenhauses existierte nicht mehr. Wir konnten es nicht glauben und habe uns direkt auf den Weg dort hin gemacht.

alles ist kaputt

Uns tat sich ein grauenhaftes Bild auf (welches wir natürlich in Fotos festgehalten haben) und danach stieg Panik in uns hoch. Wie viele Menschen mögen hier verschüttet sein. Sind wir hier überhaupt noch sicher. Werden genügend Lebensmittel vorhanden sein. Apropos Essen. Es ist kein Geschäft offen. Wo sollen wir Frühstücken und wie sieht es mit Mittag- und Abendessen aus? Leh ist komplett tot. Wir hatten nur noch eines im Kopf. Wir müssen hier raus.

Wir waren froh Touristen auf der Straße zu treffen, mit denen wir uns austauschen konnten. Was sollen wir nur tun?
Wir erfuhren, dass die beiden einzigen Straßen, die aus Leh über die Berge in Richtung Dehli führen durch das Gewitter komplett zerstört wurden. Ein Flug muss her.

Und es ist unbegreiflich. Keine Agentur, keine Airline hat an diesem Tag geöffnet. Die Internet-Cafes sind out of connection. Telefon funktioniert auch nicht und die Geldautomaten spucken kein Geld mehr aus. Wir sind verloren.

Jetzt haben auch noch die Restaurants geschlossen. Und Wasser bekommen wir auch keines mehr. Man muss sich doch hier um uns, die Touristen, kümmern.

Uns viel ein Stein vom Herzen, als am nächsten Tag wieder ein paar Geschäfte geöffnet wurden und uns die Nummer der Deutschen Botschaft in Indien mitgeteilt wurde. Auch gab es ein Treffen, wo man uns mitteilte, wie es für uns Deutsche jetzt weiter geht. Sie regelten alles für uns und der Rückflugtermin war endlich in trockenen Tüchern.

Flugblätter der einzelnen Konsulate


Auf dem Weg zurück ins Hotel vielen uns die vielen Hilferufe (der Bevölkerung) auf großen Plakaten auf. Sie suchten dringend Freiwillige, die Ihnen bei der Bergung der Verschütteten und beim Wiederaufbau behilflich sind. Es ist ja wohl selbst verständlich, dass wir hier mit angefasst haben.

Freiwillige Helfer

Wir hätten natürlich noch länger geholfen, wenn unser Flug zurück nach Dehli nicht schon so zeitnah gewesen wäre.


Mr. No-Panic , Leh 05.08.2010

Seit Tagen quälte mich schon mein Magen und die nächtlichen Toilettengänge gehörten als Standard zu meinem Nachtprogramm. Aber in dieser Nacht war es anders. Ich konnte endlich mal wieder richtig durchschlafen. Ich erwachte am Morgen gut gelaunt, sogar mit etwas Hunger, den meine Frau und ich in einem der vielen Restaurants in dieser Stadt besiegen wollten. Wir mussten leider unverrichteter Dinge wieder in unsere Unterkunft zurückkehren, da alle Geschäfte und Restaurants geschlossen hatten. Schon wieder so ein verdammter Feiertag. Macht aber nichts, mein Magen und meine Figur halten auch noch einen weiteren Diät-Tag aus.

alles ist kaputt

Mit dem Feiertag hatte wir uns dann wohl geirrt. In der Nacht muss ein schreckliches Unwetter geherrscht haben, bei dem sogar Einheimische umgekommen sind. Wir hörten davon, dass der gesamte Busbahnhof nicht mehr existieren soll. Ganze Heerscharen sind dort hin gelaufen und haben Fotos geschossen. Wie kann man nur so sensationsgierig sein. Wir hörten, dass die Polizei hier hart eingegriffen haben soll und die Touristen-Reporter teilweise mit groben Mitteln entfernten.

Für uns wurde dieser Unglückstag ein sehr beschaulicher und ruhiger Tag. Wir gingen den Touristen auf der Straße, sowie den Helfern an der Unglücksstelle aus dem Weg, in dem wir den ganzen Tag auf unserem Zimmer gelesen hatten. Wir konnten ja sonst nichts tun.

Am nächsten Tag machten wir uns ein Bild von der Lage. Viele Geschäfte waren geschlossen, jedoch was der Tourist brauchte, konnte er mit viel Geduld auch bekommen. Wir kauften Wasser, etwas Brot und Kekse und stellten uns in die Telefonschlange. Wir brauchten etwas Nerven, da die Verbindungen immer wieder unterbrochen wurden und die Masse an Touristen in einem 30min. Telefongespräch ihren Angehörigen zu Hause ihr Leid und die Gefahren klagten, denen sie gerade ausgesetzt sind, während 50 Personen hinter ihnen standen und auch telefonieren wollten. Deren Geschichten waren der reinste Bullshit. Wir verwendeten unsere Energie auf das Telefonat mit einem Freund in Deutschland und baten ihn für uns im Internet einen Flug zu buchen. Einen Tag später hatten wir unsere Flugbestätigung. (Vielen Dank hier an den guten Freund).

Nach ein paar Tagen waren wir einige der wenigen Touristen, die noch in der Stadt waren. Die einzelnen Botschaften wie beispielsweise Israel haben 3 Flugzeuge bereitgestellt. Am Dienstag, den 10.08.2010 flogen 9 Maschinen mit über 2.000 Touristen aus Leh heraus.
Wir hatten noch etwas Zeit bis zum Rückflug nach Dehli. Wir verbrachten sie in einer sehr ruhigen und angenehmen Stadt Leh. Wir haben viel gelesen unsere weiteren Reisen geplant und an einem Meditationskurs teilgenommen.

Marion und Thomas , Leh 10.08.2010

Du wirst uns sicher Recht geben, dass es nicht einfach ist, zu entscheiden, ob " Mrs. Panic" die Geschichte des 5. August wahrheitsgetreu erzählt hat oder "Mr. No-Panic".
Es ist völlig egal. Es gibt ihre und seine Wahrheit. Denn auch die Wahrheit ist nicht immer die Wahrheit.

Die Wahrheit ist nur die Wahrheit dessen, der behauptet, dass die Wahrheit, die er sagt, die Wahrheit ist. Oder so.