Wer braucht schon den Kontakt zu Einheimischen? Während der besagten 24 Stunden waren dies die
einzigen Worte von Thomas. Wie es dazu kam werdet ihr gleich erfahren.
Wir waren mal wieder mit dem Bus unterwegs. Unsere Strecke war die Quilotoa-Runde, im Reiseführer
empfohlen wegen ihrer tollen Landschaft und der Entdeckung abgelegener Indigena-Dörfer und - ganz
wichtig - dem unmittelbaren und intensiven Kontakt zur einheimischen Bevölkerung.
Unser erstes Ziel war der Kratersee Quilotoa und die Übernachtung
im gleichnamigen Ort. Der See und der Ort sollten einzigartig sein und waren es dann auch ...
Während der Busfahrt ging es mal wieder richtig zur Sache. Wir waren umlagert von Einheimischen:
nasentriefende und schmuddelige Kinder, grinsende, besonders wohlriechende Eltern und krähende
Hühner und ... wenn es besonders eng wurde kamen auch noch ein paar 'fliegende Händler' durch
den Bus.
Der Kontakt bei der rasanten Fahrt wurde wirklich mit jedem einzelnen hergestellt, bei manchen noch
inniger, da sie ihrem Magen freien Lauf ließen. Kaum zu glauben, dass es Menschen, die ihr Leben lang
immer mit diesen Höllenbussen fahren doch noch schlecht werden kann.
Nach drei Stunden durften wir endlich aussteigen, der Reiseführer hatte Recht - der Kontakt zu den
Einheimischen war hergestellt. Eigentlich wollten wir hier schon fast wieder in den Bus zurück einsteigen,
jedoch ... am Ziel waren wir immer noch nicht.
Ein wiedermal strahlendes Gesicht nahm uns in Empfang und verlangte für den einzig möglichen
Weitertransport (12 Kilometer) auf dem Pickup mal eben so 10 Dollar, aber immer freundlich und was machen
wir als doofe Touristen ...
Und schon gings los und keine 20 Minuten später passierten wir den Eingang des Ortes Quilotoa - fast jedenfalls,
denn der Ort war mit einer Kette gesichert und - ratet mal - wieder ein sehr freundliches Gesicht:
2 Dollar "Torsteuer"!! (von dieser Art der Wegelagerei haben wir zufällig auch gerade in dem Buch
'Die Wanderhure' gelesen, das im 15. Jahrhundert in Deutschland spielt).
Was uns dann erwartete war einfach 'unbelievable' (unfassbar, wie unser amerikanischer 'Leidensgenosse in
jedem zweiten Satz bemerkte): Der direkte Kontakt zur einheimischen Bevölkerung!!
Unsere Unterkunft nahmen wir bei 'Pacha Mama' ein, der indianischen heiligen Mutter Erde.
Wieder ein grinsendes Gesicht: kommt rein, kommt rein - nur sieben Dollar pro Person für
Übernachtung mit Frühstück und Abendessen. Wer kann dazu schon nein sagen: immerhin mit
Gemeinschaftsbad und heisser Dusche, wurde uns zumindest versichert.
'Pacha Mama' lebt mit ihrem Mann und ihren 6 Kindern in diesem Haus. Das Haus ist 2-stöckig.
Im Erdgeschoss sind Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer mit Doppelbett (für Eltern + 2 Kinder),
im Obergeschoß4 Gästezimmer, ein Bad (ohne fließend Wasser und ohne Dusche also weder
kalt noch warm) und ein Verschlag mit Doppelbett, in dem die restlichen 4 Kinder schlafen......
(als hätte das Haus nicht genügend möbilierte Zimmer!!!).
Zu allem Elend fing es an aus Kübeln zu schütten und die Temperatur ging auch ziemlich in den
Keller (immerhin befanden wir uns auf fast 4000m Höhe). Somit waren wir also 'gefangen' bei 'Pacha
Mama', da der nächste Bus erst 24 Stunden später weitergehen sollte.
Wir haben es uns also in dem Wohnzimmer gemütlich gemacht: dünne zerbrochene Fenster, von der Decke
hängende Fassungen mit nackten Glühbirnen und oben, unten und an den Wänden unverputzter
Beton, wie in einem Keller.
Geheizt wird hier mit Holz, das hinter dem Haus verstreut im strömenden Regen liegt und
entsprechend gut brennt in einem Ofen, der perfekt unter der Treppe ins Obergeschoss, nicht wie vielleicht
angenommen in der Mitte des Raumes positioniert war.
Wer also warme Füße, Hände, was auch immer haben wollte musste
sich auf den Mehlsack unter der Treppe zwengen, was der Hausherr später am Abend (18.30 Uhr) dann
auch mit sichtlichem Wohlbehagen getan hat. Wir haben tapfer gefroren und immer mal wieder darauf hingewiesen,
dass das Feuer ausgegangen ist - nasses Holz brennt einfach nicht optimal.
In der Not haben wir uns mit warmem Tee versorgt, schon seit Monaten abgelaufen, aber in der kühlen
Höhenluft sollte das doch kein Problem sein.
Derweil kam nahezu das komplette Dorf zu Besuch.
Nicht wegen uns, sondern, man höre und staune, wegen des Fernsehers und des DVD-Players, die praktisch in
der Küche aufgebaut waren und ununterbrochen einheimische Musik in Wort und Bild zum Besten gaben.
Was wir zu dieser Zeit noch nicht wussten und erst eine Stunde später gemerkt haben: Unser Zimmer
wurde durch den Regen zum Schwimmbad und mit ihm natürlich auch unsere großen Rucksäcke, die
wir ahnungslos dort untergebracht hatten.
Zwar hatte das Haus ein Dach, vermutlich jedoch nicht mit der Funktion Regen abzuhalten. Neben dem Zimmer,
dem Bett waren also auch unsere Rucksäcke mit dem gesamten Inhalten völlig durchnässt.
Wieder ein Grinsen von 'Pacha Mama' - kein Problem, dann nehmt halt ein anderes Zimmer!!!
Mittlerweile waren die 6 Kinder aus der Schule gekommen. Mit großen Augen wurden wir erstmal
gemustert, dann aber direkt angefasst!!!
Postkarten werden gezeigt - wir sind überrascht - alle Karten stammen aus Deutschland.
Das Maintal, Würzburg, Aschaffenburg, Frankfurt usw. Die Nachfrage hat ergeben,
dass eine Familie aus Würzburg Pate dieser einheimischen Familie ist. Sie unterstützen die Familie,
waren aber noch nie zu Besuch in Ecuador gewesen. Pacha Mama und ihre Familie bewahren die Karten zwar
alle auf, können sie jedoch geografisch nicht zuordnen. Für sie war völlig überraschend,
dass alle Karten aus Deutschland sind. Und was und wo ist überhaupt Deutschland?
Zum Abendessen sollten wir etwas besonderes bekommen - cuy asado - auf Deutsch: gegrilltes Meerschweinchen.
Wir sahen das kuschlige Tier noch rumspringen, bis es von 'Pacha Mama' aufgespiesst und im Holzofen
knusprig gebraten wurde. Schmeckt nicht schlecht - irgendwie wie Schwein - nur ein bischen wenig Fleisch.....
Das Essen (Gemüsesuppe mit Popcorn, Meerschweinchen mit Kartoffeln und Tomantensalat und als
Nachtisch süsses Baumtomatenkompott) war überraschenderweise hervorragend und wir sind ziemlich sicher,
dass keines der 6 Kinder irgendwann mal hungern muss. Unser amerikanischer, vegetarischer Mitstreiter hat
sich in der Küche statt cuy etwas eigenes zubereitet, war aber mit dem Rest ebenfalls sehr zufrieden.
Vielleicht noch ein Satz zu unserem Hausherrn: In den 24 Stunden unseres Aufenthalts haben wir ihn keine
Sekunde bei der Arbeit gesehen. Er war immer da, immer freundlich und um 20.00 Uhr im Bett und bis zur Nase
zugedeckt, wie man aus der Küche in dem Schlafzimmer sehen konnte. Am nächsten Morgen war er um
7.00 Uhr wieder auf und hat als erstes den DVD-Player in Gang gebracht und sahs dann bis wir um 11.00 Uhr
gegangen sind davor...
Wir haben die 24 Stunden hinter uns gebracht und sind froh wieder in der Zivilisation von Ecuador
zu sein. Die restlichen 5 Dörfer der Quilotoa-Runde haben wir uns erspart und sind die gleiche Strecke
wieder zurückgefahren. Unser Ausflug hat uns gelehrt, dass die ländliche Bevölkerung
keineswegs arm ist.
Sie lebt eigentlich sehr gut von den Erträgen, die das Land bietet und sie bedient sich
großzügig an den Geldern der Touristen, steckt jedoch leider nichts davon in die Ausbildung
ihrer Kinder oder in ein praktisches und gemütliches Zuhause und arbeitet nur, wenn es gar nicht
anders geht.
Übrigens: das Dach in unserem Zimmer ist schon über ein Jahr undicht, wie wir später noch
erfahren haben!!!
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